Entwickler: Polyphony Digital
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Publisher: Sony Interactive Entertainment
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Releasedatum: 18.10.2017
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Genre: Rennspiel
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USK: 0
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Webseite: LINK
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Kein offizieller siebter Teil, dafür der lang ersehnte Sport-Ableger: Gran Turismo feiert seinen PS4-exklusiven Einstand auf der aktuellen Konsolengeneration. Dabei brechen die Entwickler mit vielen lieb gewonnenen Traditionen, bei denen Fans der Serie erst mal vor Schreck der Spielspaßmotor ins Stottern gerät. Wir haben alle Gänge voll ausgefahren und kommen zu überraschenden Erkenntnissen bei der Haupt- und Abgasuntersuchung.
Ohne Rennetikette bleibt der Online-Motor aus
Auf Verpackungen nur als Randnotiz vermerkt, bei uns genauso zu lesen, wie es sich gehört: Ohne Internetverbindung ist der Funktionsumfang von Gran Turismo Sport stark eingeschränkt. Logischerweise verzichtet man dann auf sämtliche Online-Features, die den Hauptkern des Spiels ausmachen. Auch die Speicherfunktion ist eingeschränkt. Wenn dann lediglich der Arcade-Modus verfügbar ist, erwirbt man nicht mehr als eine magere Demoversion. In der Praxis heißt das auf den Punkt gebracht: Wer das meist erwartete Rennspiel der aktuellen Sony-Konsole genießen möchte, benötigt zwingend ein kostenpflichtiges Abo von PS Plus. Ein Schelm ist, wer bei Sonys kurzfristiger Preiserhöhung nun Böses denkt…
Der Fokus liegt eindeutig auf Online-Gaming. Tägliche Veranstaltungen unterteilen sich in drei Rennklassen inklusive Zeitqualifikation. Für Zusatzmotivation sollen Online-Meisterschaften sorgen. Loslegen darf man aber erst, nach dem Anschauen der Etiketten-Videos. Den Spielern wird in kurzen Sequenzen vermittelt, wie man sich im Mehrspielermodus optimalerweise zu verhalten hat. Das zumindest in der Theorie sinnvoll erdachte Matchmaking beruht auf Balance of Power. In der Praxis soll das bedeuten, dass sich leistungsmäßig gleichwertige Rennpiloten inklusive ihrer Karossen gegeneinander messen und allein das fahrerische Können über Sieg oder Niederlage entscheidet. Um es nicht allzu spannend zu machen: Erfahrungsgemäß funktioniert dies erstaunlich gut, wenn auch immer noch Verbesserungspotenzial vorhanden ist. Das so genannte Ghosting wirkt beispielsweise noch relativ beliebig und sorgt deswegen in der Community für fragende Gesichter: Aufreizend langsame oder gerade verunfallte Wagen werden wegen der Behinderungsgefahr kurzzeitig durchsichtig. Insbesondere in den unteren Klassen und allgemein in kurvigen Abschnitten beobachtet man dieses noch recht willkürlich eingesetzte Phänomen häufig.
Maßgeblich sind Fahrerwertung (FW) und Sportgeistleistung (SW). FW erhöht sich durch gute Leistungen, jeder Spieler beginnt in Kategorie E und kann sich bis S fünfmal verbessern. SW soll umsichtiges Fahrverhalten belohnen. Gefährliche Manöver wie Kollisionen, Behinderungen oder Abflüge verringern den Wert, während faires und umsichtiges Verhalten zur Steigerung beitragen. Verstöße gegen die Etikette werden zudem mit empfindlichen Zeitstrafen geahndet. So konnten wir ein Online-Rennen gewinnen, obwohl wir lediglich als Dritter die Ziellinie passiert hatten. Die beiden Rüpel vor uns wurden nachträglich konsequent strafversetzt. Selbst der Ausstieg während eines laufenden Events bleibt nicht ungesühnt. Für die Zukunft wünscht man sich eigentlich nur noch optionale KI-Rivalen, falls die Server irgendwann mal nicht mehr prallgefüllt sein sollten zum Veröffentlichungszeitraum. Man darf gespannt sein, wie lange der gelungene Mehrspielermodus mit seinen individuell einstellbaren privaten und öffentlichen Lobbys populär bleibt.
Fahren ist für Jedermann
Regelrecht enttäuscht dürfen Spieler vom Solo-Umfang sein, der wohl allerhöchstens 15 Stunden beschäftigen sollte. Von Project Cars 2 oder Forza Motorsport 7 sieht Gran Turismo Sport diesbezüglich nur noch aus großer Distanz die Rücklichter. Nackte Zahlen belegen das: Nur 160 Wagen sowie 20 Strecken in 40 Varianten sind ein bedauerlicher Minusrekord der Reihe. Die klassische, motivierende Karriere gibt es in der Form nämlich nicht mehr. Stattdessen warten kurze Herausforderungen wie Fahrschule, Missionen und Streckenerfahrungen. Die Aufgaben sind in der Regel innerhalb weniger Sekunden abgehakt, sprich Gold, Silber oder Bronze erreicht. Mit Hintergrundinformationen und Belohnungen geizt der Titel aber nicht bis letztendlich Erfahrungsstufe 20 erreicht wird.
Neben der Freischaltung von Boliden und Strecken für den Arcade-Modus (Einzel-, Zeit-, Drift- und Benutzerdefinierbare Rennen, 2-Spieler-Splitscreen, VR-Tour) werden Preisgelder, Meilen, zurückgelegte Strecke und Erfahrung gutgeschrieben. Auffällig bleibt bei eine gewisse Inkonsequenz, denn die Wahl der KI-Schwierigkeit wirkt sich sumerisch aus, der Umgang mit Fahrhilfen jedoch nicht. Investitionsmöglichkeiten sind Neufahrzeuge, die man mit Verlust auch wieder verkaufen kann, oder Ausrüstung wie Felgen und ernüchternd oberflächliche Tuning-Upgrades. Darüber hinaus sollen detaillierte Statistiken und Anpassungen bei Setups, Fahrern und Designs bei Laune halten. Zusätzlich lässt sich das alles mit der Community teilen, genau wie Fotos sowie die speicherbaren Wiederholungen.
Dabei bleibt die tolle, nachvollziehbare Fahrphysik mit der gelungenen Mischung aus Simulation und Arcade ein großer Pluspunkt. Gran Turismo gibt sich dank der hervorragenden Bedienung beim Fahrgefühl keine Blöße. Eine solide KI auf allen drei Stufen verteidigt konsequent ihre Ideallinie, auf der sie genretypisch etwas zu stur verweilt. Sie nutzt passende Gelegenheiten, um fair zu attackieren. Unfaire Manöver oder gar rücksichtslose Abschüsse sind selten. Zwar fehlt eine optionale Rückspulfunktion, aber Straf- und Flaggensystem gleichen das fehlende Feature beinahe wieder aus. Mitgelieferte Optionen stellen sinnvolle Fahrhilfen wie sichtbare Ideallinien, Brems-/Lenkassistent, ABS oder Traktionskontrolle dar. Reizvoll ist der skalierbare Reifenverschleiß und Benzinverbrauch, wenngleich F1 2017 die Messlatte in dieser Hinsicht erst vor kurzem sehr hoch gelegt hat. Das mögliche Schadensmodell macht sich optisch kaum, dafür fahrerisch umso mehr bemerkbar.
Begeisternde Technik mit kleinen Nachlässigkeiten
Grafisch überzeugt Gran Turismo Sport und rast angenehm flüssig in der Spitzengruppe der schönsten Rennspiele mit. Malerische Kulissen mit beeindruckenden Beleuchtungseffekten und die unglaublich detaillierten Fahrzeugmodelle inklusive feiner Cockpits stechen in einer großartigen Präsentation heraus. Das Gesamtbild kommt gestochen scharf und optisch realistisch daher. Und trotzdem wird längst nicht alles geboten, was machbar wäre. So fehlt ein dynamisches Wettersystem komplett, ebenso ein fließender Tageszeitenwechsel. Auch die Ladezeiten könnten kürzer sein. Unumstritten sind satte Motorenklänge (Ausnahmen bestätigen die Regel), authentische Soundeffekte sowie eine stimmige Musikbegleitung.
Fazit von Christian Schmitz
Es hat sich bereits über viele Jahre angedeutet: Die Gewissheit, dass Gran Turismo trotz toller Spielbarkeit nur noch hinterherfährt, verfestigt sich mit dem Sport-Ableger endgültig. Den direkten Dreikampf mit Project Cars 2 und Forza Motorsport 7 kann der neueste Ableger allein in Sachen Umfang und Langzeitmotivation nicht mithalten, auch die neuen Codemasters-Raser überholen mittlerweile mit Leichtigkeit. Der Fokus liegt eindeutig auf dem durchdachten Online-Erlebnis. Einzelspielern werden nur noch kleine Häppchen in Form von Herausforderungen serviert statt der schmackhaften Karriere-Leibspeise. Die technisch eindrucksvolle Aufholjagd hat so einen faden Beigeschmack. Trotzdem ist und bleibt Gran Turismo Sport ein gutes Rennspiel, es gibt jedoch bessere Alternativen.